„Prävention beginnt nicht erst mit Früherkennung!"

 

Zwischen den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen und den ärztlichen Empfehlungen klafft eine immer größere Lücke. Dazu ein Gespräch mit Dr. med. Jürgen Klinghammer, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, engagierter Präventionsmediziner und Leiter des zertifizierten Fortbildungsprogramms für Präventionsmedizin der GenoGyn Rheinland.

 

Liv!: „Herr Dr. Klinghammer, je mehr die gesetzlichen Kassen ihre Leistungen beschränken, desto stärker sprechen sie sich gegen die individuellen Gesundheitsleistungen, die so genannten „IGe-Leistungen“ aus. Wie kommt das?

 

Dr. K.: „Ganz einfach: Würden die Kassen die „IGe-Leistungen“ befürworten, wäre das ein klares Eingeständnis, dass die gesetzliche Regelversorgung im Bereich der Prävention wirklich nur ein Grundprogramm beinhaltet. Natürlich ist das besser als nichts, von einer Optimalversorgung aber weit entfernt.

 

Liv!: „Als Präventionsmediziner können Sie uns das bestimmt an einem Beispiel erläutern ….“

 

Dr. K.: „Sicher. Nehmen wir das Thema Brustkrebs. Da versucht man, mit dem „Mammographie-Screening“ eine Brusterkrankung frühzeitig zu entdecken und dann zu behandeln. Moderne Prävention setzt aber viel früher an. Sie zielt zuerst darauf ab, Strategien für ein gesundes Leben aufzuzeigen und möglichst schon die Entstehung von Vorstufen und kritischen Veränderungen der weiblichen Brust zu vermeiden.

 

Liv!: „Was heißt das konkret?“

 

Dr. K.: „Wir sind heute in der Lage, die persönlichen Risiken recht genau zu erfassen und auch zu reduzieren. So sind beim Brustkrebs nicht nur die familiäre Vorbelastung zu berücksichtigen, sondern viele andere Faktoren, wie z.B. die Brust- und Knochendichte, verschiedene Hormonwerte, die Verstoffwechslung von weiblichen Hormonen – speziell den Östrogenen - und der Insulin-Spiegel. All das können Gynäkologen, als Fachärzte für die Frau, heute untersuchen und in ein persönliches Präventionskonzept einfließen lassen.

 

Liv!: „Sie werden bestimmt noch das Thema Lebensstil ansprechen…“

 

Dr. K.: „Das Körpergewicht, die Ernährung und der persönliche Lebensstil spielen nicht nur bei der Entstehung von Krebs eine Rolle – sie sind generell die Basis unserer Gesundheit. Mehr als 9 von 10 Herzinfarkten ließen sich mit einem vernünftigen Lifestyle vermeiden, ebenso ein Großteil der Zuckererkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.

 

Liv!: „Warum nutzen die gesetzlichen Kassen solche Erkenntnisse nicht?“

 

Dr. K.: „Das ist eine gute Frage. Die Menschen in Deutschland werden immer älter und es würde dem Gesundheitswesen viel Geld ersparen, wenn mit dem Lebensalter auch die Zahl der gesunden Jahre steigen würde. Stattdessen werden von den gesetzlichen Krankenversicherungen Leistungen gekürzt, während der Verwaltungsanteil bereits stolze 23 % der Gesamtausgaben erreicht hat.“

 

Liv!: „Für Sie als Arzt kann diese Situation nicht zufriedenstellend sein….“

 

Dr. K.: „Natürlich nicht. Umso mehr freuen wir uns über kleine Teilerfolge, die wir erringen konnten, beispielsweise bei der Schwangerschaftsvorsorge. Nachdem wir Frauenärzte viele Jahre darauf gedrängt haben, ist endlich die Einführung eines routinemäßigen Tests auf Schwangerschaftsdiabetes geplant. In Österreich gehört dieser Test schon seit 2008 zur Routinevorsorge! Ansonsten jedoch gilt nach wie vor: Es gibt viele Bereiche, wo sich die Vorsorge deutlich verbessern ließe.“

 

Liv!: „Das heißt im Klartext, Versicherte müssen selbst die Initiative ergreifen…“

 

Dr. K.: „Fest steht: Eine individuelle und leistungsstarke Prävention kostet Geld, das von den Kassen nicht gezahlt wird. Aber Prävention hat nicht nur etwas mit Finanzen zu tun. Die persönliche Einstellung ist A und O: Gesund zu leben und gesund zu sein, das ist für jeden von uns ein einzigartiger Mehrwert. Man hat mehr Kraft und Energie, kann intensiver erleben und genießen, fühlt sich wohler und zufriedener – bis ins hohe Alter.“

 

Liv!: „Dass es sich lohnt, auf sich und seine Gesundheit zu achten - und auch etwas dafür zu tun, ist in den Köpfen vieler Menschen aber noch nicht angekommen.“

 

Dr. K.: „Deshalb ist es um so wichtiger, dass wir Ärzte unsere Patienten intensiv betreuen und begleiten können. Jeder Mensch ist unterschiedlich, darauf muss die Gesundheitsvorsorge abgestimmt sein. Je besser das Konzept auf den Patienten zugeschnitten ist, desto konsequenter wird er es im Alltag umsetzen, desto intensiver spürt er die positive Wirkung.

 

Liv! „Klar, kein übergewichtiger Sportmuffel wird von heute auf morgen zum Langstreckenläufer.“

 

Dr. K: „Und kein Fleischesser zum Vegetarier oder umgekehrt. Doch es ist Motivation pur, wenn Menschen erleben, wie viel sie mit kleinen Veränderungen und z. B. der Einnahme von ausgewählten Nährstoffen bewirken können. Bedenken Sie: Es gibt über 200 Erkrankungen, die sich durch Ernährung und den gezielten Einsatz von Vitalstoffen behandeln lassen. Vorausgesetzt natürlich, die Substanzen werden mit professionellem Know-how für den einzelnen Patienten zusammengestellt.“

 

Liv!: „Dürfen wir Sie noch um ein kurzes Fazit bitten.

 

Dr. K.: „Was mir sehr am Herzen liegt: Von der richtigen Prävention profitieren wir ganzheitlich. Wir fühlen uns besser, wir haben mehr vom Leben – heute und in Zukunft. Und weil die meisten Menschen eben keine Profis in Sachen Gesundheitsvorsorge sind, ist es doch nur naheliegend, sich von einem Arzt als kompetenten Fachmann unterstützen zu lassen.“

 

Liv!: „Vielen herzlichen Dank für dieses spannende Gespräch Herr Dr. Klinghammer!“