„Die äußeren Einflüsse auf unsere Gesundheit nehmen immer stärker zu“

 

Liv! im Gespräch mit Prof. Dr. med. Claus Schulte-Uebbing, Frauenarzt und Spezialist für Umweltmedizin, Endokrinologie, Onkologie und Immunologie. Er leitet das Umweltmedizinische Therapiezentrum am Dom in München und ist Autor mehrerer medizinischer Fach- und Lehrbücher.

   

LIV!: Herr Prof. Dr. Schulte-Uebbing, immer wieder hört man heute von Umweltkrankheiten. Was versteht man eigentlich darunter?

 

S.-U.: Wir nutzen diesen Begriff, wenn die Welt um uns herum zu seelischen, psychischen und / oder körperlichen Belastungen führt, die dann in eine Erkrankung münden. Typische Beispiele sind Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Allergien, Heuschnupfen.

  

LIV!: Die Welt um uns herum - meinen Sie damit in erster Linie die Luft, die wir atmen, und die Räu­me, in denen wir uns aufhalten?

 

S.-U.: Nicht nur. Zu unserer Umwelt zählen auch andere Menschen, Lärm, Elektrosmog, Nahrungsmittel, Kleidung, Kosmetik, sogar der Blumenstrauß auf dem Tisch und die Computertastatur am Arbeitsplatz.

 

LIV!: Und warum löst unsere Umwelt immer mehr Erkrankungen aus?

 

S.-U.: Wir leben heute in einem industrialisierten Zeitalter, in der es kaum noch natürliche Produkte gibt. Fast alles ist chemisch behandelt, enthält Substanzen, die im menschlichen Körper Veränderungen bewirken. Pflanzen- und Holzschutzmittel, Giftstoffe aus dem Wasser gelangen außerdem über die Nahrung in unseren Körper, wo sie wie ein Nervengift wirken. Im Grunde genommen werden wir rund um die Uhr mit chemischen Substanzen und Giftstoffen bombardiert, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig noch verstärken können. Allein mit unserem Essen nehmen wir jedes Jahr ca. 3 bis 4 Kilogramm reine Chemie zu uns. Auf Dauer ist das Immunsystem damit völlig überfordert.

 

LIV!: In den letzten Jahrzehnten gewinnen ja Krebserkrankungen als Todesursache immer mehr an Bedeutung. Gibt es da einen Zusammenhang?

 

S.-U.: Davon gehen wir aus. Jeder vierte Todesfall ist heute auf Krebs zurückzuführen. Besonders schlimm ist die Entwicklung auf dem Gebiet der weiblichen Krebserkrankungen. Die Brustkrebsrate bei Frauen unter 50 Jahren hat sich seit 1970 mehr als verdoppelt. Auch bei Gebärmutterhals­krebs sind Umwelteinflüsse beteiligt: Sie können das Wachstum der HP-Viren fördern, die ja diese Form der Krebserkrankung hervorrufen.

  

LIV!: Man hört ja auch, dass Umweltgifte bei Frauen zu hormonellen Fehlsteuerungen führen können...

 

S.-U.: Das ist richtig. Gerade die Liste der frauenspezifischen Erkrankungen ist lang. Sie beginnt mit Zyklusstörungen, reicht über chronischen Scheidenpilz und Entzündungen bis zum unerfüllten Kinderwunsch. Auch bei der so genannten Endometriose, bei der Zellen aus der Gebärmutter irgendwo im Körper wuchern, besteht ein Zusammenhang mit Umweltgiften.

  

LIV!: Wie kann Frau sich hier schützen?  

 

S.-U.: Allen negativen Umwelteinflüssen aus dem Weg zu gehen, ist leider kaum möglich. Aber wir können durch unseren Lebensstil aktiv dazu beitragen, in einer besseren Umwelt zu leben. Gesunde, frische Lebensmittel statt industriell verarbeitete Kost, pflanzliche statt chemische Haarfärbemittel, umweltgeprüfte Farben und Materialien in der Wohnung - dadurch lässt sich die Belastung schon spürbar reduzieren.

  

LIV!: Aber es gibt doch bestimmt auch medizinische Ansätze.

 

 S.-U.: Sicher, sogar auf sanfter und natürlicher Basis. Wir setzen z. B. Vitamin D ganz gezielt und in individueller Dosierung ein, um das Immunsystem zu stärken. Mit einer speziellen, ärztlich verordneten Vitamin-D-Therapie lassen sich unter anderem chronische Scheidenentzündungen behandeln und sogar Zellveränderungen als Vorstufe von Gebärmutterhalskrebs positiv beeinflussen.

 

LIV!: Wie ist das möglich?  

 

S.-U.: Immer mehr Studien belegen, dass Vitamin D gegen Entzündungen wirkt, das Immunsystem moduliert, vor oxidativen Schädigungen schützt und einen Hormon-ähnlichen Effekt hat. Damit ist es unerlässlich für die körpereigenen Abwehrkräf­te und die gesunde Zellfunktion. Normalerweise wird Vitamin D vom Körper gebildet, doch bei vielen Menschen reicht die Menge einfach nicht aus. Da kann es durchaus ratsam sein, einmal den Vitamin-D-Spiegel bei der Frauenärztin bzw. beim Frauenarzt ermitteln zu lassen, um dann ggf. vorhandene Defizite auszugleichen.

  

LIV!: Und die gängigen Vitamin-Kapseln und -Brausetabletten?

 

S.-U.: Einige enthalten zwar Vitamin D, häufig aber in einer Form, mit der unser Körper wenig anfangen kann. Wir Mediziner hingegen setzen Nährstoffe wie Medikamente ein, in der richtigen Dosierung, in speziellen Anwendungsformen und, wenn erforderlich, in Kombinationen mit anderen, wirkungsverstärkenden Substanzen. Also eine individuelle Therapie bei den verschiedensten umweltbedingten Erkrankungen.

  

LIV!: Vielen Dank, Herr Prof. Schulte-Uebbing, für dieses sehr interessante Gespräch!

 

 

 

 

 

 

Prof. Dr. Schulte-Uebbing ist Autor zahlreicher Bücher und medizinischer Publikationen. Zuletzt erschienen:

Frauenheilkunde - Die fünf Säulen der Hildegard- Medizin